Bundesgerichtshof verschärft Anforderungen an die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen nach § 133 InsO

In seinem Urteil vom 06.05.2021 (Az. IX ZR 72/20) hat der Bundesgerichtshof die Hürden für den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes und dessen Kenntnis beim Anfechtungsgegner erheblich erhöht. In Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof Folgendes festgestellt:

  1. Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.
  1. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
  1. Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
  1. Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.
  1. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
  1. Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Im Einzelnen hat der Bundesgerichtshof dies wie folgt begründet:

Soweit die Rechtsprechung bisher angenommen hat, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz handelt, kann ebenfalls nicht mehr allein darauf abgestellt werden, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit kannte.

Dies gilt auch für § 133 InsO in der derzeit geltenden Fassung.

Der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und auf die Kenntnis von diesem fügt sich nicht ohne Bruch in die Systematik der Anfechtungstatbestände ein. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner aus der maßgeblichen Sicht ex ante trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können.

Es reicht nicht aus, dass der Schuldner weiß, dass er im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen kann. Entscheidend ist, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein wird.

Der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung führt vor allem im Falle der Gewährung kongruenter Deckungen zu einem weitgehenden Gleichlauf mit den Voraussetzungen der Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO und damit faktisch zu einer Verlängerung des nach dieser Vorschrift maßgeblichen Anfechtungszeitraums von drei Monaten auf zehn Jahre nach altem Recht (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO aF) und auf vier Jahre nach neuem Recht (§ 133 Abs. 1 Satz1, Abs. 2 InsO).

Das stößt nicht auf gesetzessystematische Bedenken. Die Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO beruht auf dem Gedanken, dass ein Gläubiger, der eine kongruente Deckung erhalten hat, grundsätzlich darauf vertrauen können soll, die ihm zustehende Leistung behalten zu dürfen.

Dieses Vertrauen soll zwar dann keinen Schutz verdienen, wenn der Gläubiger wusste, dass die Krise eingetreten war. Das Risiko, dass er die empfangene Leistung zur Insolvenzmasse zurückgewähren muss, soll der Gläubiger nur dann tragen, wenn das Insolvenzverfahren innerhalb einer begrenzten Zeit nach Erhalt der Leistung eröffnet wird (vgl. BTDrucks. 12/2443, S. 158). Dieses Ansinnen wird verfehlt, wenn man die Anfechtung einer kongruenten Deckung nach § 133 Abs. 1 InsO schon dann für möglich hält, wenn der Schuldner erkanntermaßen zahlungsunfähig war.

Allerdings kann auch eine außerhalb der kritischen Zeit gewährte kongruente Deckung nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein. Die Ausschöpfung des längeren Zeitraums darf aber nicht unter den gleichen Voraussetzungen möglich sein, unter denen die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO auf die kritische Zeit von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begrenzt ist. 

Die bisherige Rechtsprechung  stellt zudem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO (iVm Abs. 3 Satz 1 InsO) infrage.

Die Vermutungsregelung ist mit dem Ziel geschaffen worden, dem Insolvenzverwalter die schwierige Beweisführung im Blick auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und damit die praktische Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs zu erleichtern (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 160, 265 f). Die bezweckte Erleichterung kommt nicht zum Tragen, wenn man, wie es der Senat in der Vergangenheit getan hat, den Vollbeweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners allein aus der von ihm erkannten (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ableitet (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 – IX ZR 198/13, WM 2015, 293 Rn. 9 mwN; vom 21. Januar 2016 – IX ZR 84/13, ZIP 2016, 374 Rn. 15).

Von entscheidender Bedeutung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist vielmehr, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird. 

Dies kann aus der im Moment der Rechtshandlung gegebenen Liquiditätslage nicht in jedem Fall mit hinreichender Gewissheit abgeleitet werden. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht nur für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im hier verwendeten Sinne, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint.

Hierfür genügt der Blick auf die momentane Liquiditätslage nicht für eine im Sinne des § 286 ZPO sichere Überzeugung.

Deshalb hält es der Senat für erforderlich, den Bezugspunkt für die Beurteilung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zu erweitern. 

Maßgeblich ist, ob der Schuldner wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Entsprechendes gilt für die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.

Soweit der Senat in der Vergangenheit allein aus der erkannten drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf die subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO geschlossen hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 Rn. 15; vom 21. Januar 2016 – IX ZR 84/13, ZIP 2016, 374 Rn. 15 f), wird daran nicht festgehalten.

Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 18 Abs. 1 InsO nur dann Eröffnungsgrund, wenn der Schuldner den Insolvenzantrag stellt. Gegen seinen Willen kann also kein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet werden, wenn er nur drohend zahlungsunfähig ist. Diese gesetzgeberische Wertung wird beeinträchtigt, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit der bereits eingetretenen vorsatzanfechtungsrechtlich gleichgestellt wird.

Dadurch wird es dem Schuldner verwehrt, sein Unternehmen auch außerhalb eines bargeschäftlichen Leistungsaustauschs fortzuführen und auf diesem Wege die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Müssen Gläubiger des nur drohend zahlungsunfähigen Schuldners die Vorsatzanfechtung fürchten, können sie geneigt sein, von Geschäftsbeziehungen mit ihm abzusehen oder bestehende Beziehungen zu beenden. Auch dies kann die ansonsten vermeidbare Zahlungsunfähigkeit überhaupt erst herbeiführen und auf diesem Wege letztlich in der Insolvenz münden.

Der Senat schließt nicht aus, dass auch im Stadium der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Deckungshandlungen nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein können. Dann müssen jedoch weitere Umstände hinzutreten.

Eine besonders aussagekräftige Grundlage für diese Überzeugung ist die eigene Erklärung des Schuldners. Fehlt es an einer (ausdrücklichen) Erklärung des Schuldners, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen dafür häufig nicht.

Im Grundsatz hält der Senat auch daran fest, dass die Fortdauer der einmal eingetretenen Zahlungseinstellung zu vermuten ist (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 33; vom 25. Februar 2016 – IX ZR 109/15, WM 2016, 560 Rn. 24). Allerdings ist die Vermutung in der Vergangenheit zu undifferenziert angewandt worden.

Richtigerweise hängen Stärke und Dauer der Vermutung davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist.

Dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners. Sein Wissen um die Liquidität des Schuldners bleibt in den meisten Fällen hinter den Erkenntnissen des Schuldners zurück. Gleichwohl hat die Rechtsprechung den Anfechtungsgegner in der Vergangenheit unbeschränkt für verpflichtet gehalten, die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen zu beweisen.

Darlegungs- und beweisbelastet für die tatsächlichen Umstände, die über die erkannte Zahlungsunfähigkeit hinaus für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem erforderlich sind, ist daher der Insolvenzverwalter. Dies gilt auch, soweit es sich – wie bei dem Umstand, dass keine begründete Aussicht auf Beseitigung der Illiquidität bestand – um negative Tatsachen handelt.

 

Die vollständige Urteilsbegründung finden Sie hier.